Die Ameisenerzählung

Glattauer, Daniel, 2001
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Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Medienart Buch
ISBN 978-3-216-30606-7
Verfasser Glattauer, Daniel Wikipedia
Systematik DR - Romane, Erzählungen, Novellen
Schlagworte Alltag, Satire, Ironie, Humor
Verlag Deuticke
Ort Wien
Jahr 2001
Umfang 219 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Daniel Glattauer
Annotation Buchdeckel statt Reißwolf / Über den Trend Zu Glossen-Bücher // Solch einen Publikumsandrang hatte das Wiener Literaturhaus schon lange nicht mehr zu verzeichnen wie im Dezember vergangenen Jahres, als ein »Abend der Kolumnisten« veranstaltet wurde. Gut 150 Leute strömten in den wenig attraktiven Souterrainsaal in der Zieglergasse, als dort Zeitungsautoren aus ihren jeweils zu Büchern gebundenen Glossen lasen: Daniel Glattauer (»dag«, »Standard«), Klaus Nüchtern (»Nüchtern betrachtet«, »Falter«), Günter Traxler (»Blattsalat«, »Standard«), Thomas Maurer (»Medien-Manege«, »Kurier«) und Angelika Hager (»Polly Adler«, »Kurier-Freizeit«), die sich freilich durch eine Schauspielerin vertreten ließ. Über drei Stunden dauerte der kurzweilige Lesereigen – und wäre es nach dem kolossal erheiterten Publikum gegangen, hätte es ruhig noch eine Zeitlang weitergehen können. In dieser Zusammenballung war das Ereignis zwar (bisher) einmalig, aber es verdeutlichte nur einen Trend, der schon seit einigen Jahren zu beobachten ist. Glossen werden zu Büchern – und somit zu Literatur: Aus dem Gefüge ihres periodischen Erscheinens genommen und über den Tag hinaus »gerettet«, entsteht aus Kolumnen eine Art Kurzprosa, die einen gewissen poetischen Mehrwert besitzt, der sich am literarischen Markt behaupten kann. Zu den oben Genannten, von denen die meisten im letzten Herbst ihre Glossen als Bücher auflegten, traten zuletzt auch noch »Profil«-Chefredakteur Christian Seiler mit seinen »Barolo«-Geschichten (aus der »Kurier-Freizeit«) und schon die Jahre zuvor Herbert Hufnagl (»Kurier«), Peter Vujica (»Standard«) – und die beiden Großmeister des Metiers, der Schweizer Martin Suter (»Business Class« in der »Weltwoche« und »Richtig leben mit Geri Weibel« im »NZZ-Folio«) und der Deutsche Axel Hacke (»Das Beste aus meinem Leben« im Magazin der »SZ«). Von dieser Wiederverwertung profitieren die Autoren, die Verlage und die Leser gleichermaßen. Die Autoren kommen auf recht billige Art und Weise zu eigenen Büchern – und damit zu einer kleinen Aufwertung. Denn trotz allgemeiner Marginalisierung des kulturellen Wertes von Büchern (was hauptsächlich der absurden Überproduktion von Büchern selbst verdankt ist, weniger der gerne behaupteten Konkurrenz anderer Medien wie Fernsehen oder Internet) ist und bleibt das Gebundene doch mit einer Restaura von Kultiviertheit und Dauerhaftigkeit versehen. Etwas, wonach sich Journalisten, geschlagen mit berufsimmanenter Vergänglichkeit von Gedrucktem, besonders sehnen. Denn üblicher Weise gilt für ihre Erzeugnisse, so bemüht sie auch über das Erscheinungsdatum hinaus konzipiert sein mögen, was der Kulturphilosoph George Steiner als Art ehernes Gesetz formuliert hat: »Das Äußerste an Schönheit oder Schrecken kommt in den Reißwolf, wenn der Tag sich neigt.« Zwischen Buchdeckeln kann es solcherart etwas länger in Zirkulation verbleiben. Die Verlage nehmen Glossisten vor allem deswegen gerne ins Programm, weil diese Autoren bereits einen Namen haben, eine Art vorgefertigte Marke sind, mit der am Markt der Aufmerksamkeiten leichter zu reüssieren ist als mit unbekannten Schriftstellern, die sich buchstäblich erst einen Namen machen müssen. Dieses Prinzip der Prominenz und Popularität zeitigt freilich auch bizarre Blüten, wenn man betrachtet, wer da aller die letzten Jahre zu Buchehren gekommen ist: von Chris Lohner über Hannes Kartnig, Karin Resetarits bis zum »Wazinger« aus »Taxi Orange« reicht die Liste jener, die – wenn sie schon überall sonst nicht viel zu sagen haben – das wenigstens auch noch in Büchern tun müssen. Kolumnisten können wenigstens schreiben. Außerdem stehen hinter ihnen die jeweiligen Zeitungen und Medienunternehmen, die für Verlage wiederum für Gegengeschäfte interessant sind. Die Werbung für die Glossenbücher muß nicht auf Umwegen betrieben werden, die Autoren werben für sich selbst. Und das klappt auch: Daniel Glattauers »Ameisenzählung«, die seine konzis-witzigen »dag«-Glossen versammelt, ist neben dem »Schwarzbuch Markenfirmen« die erfolgreichste Veröffentlichung des Deuticke-Verlages aus dem letzten Halbjahr. Und Lesungen des »Standard«-Autors, die er zuletzt österreichweit abhielt, waren stets gerammelt voll. Das zeigt, daß auch die Leser dieses Angebot gerne annehmen. Anstatt Woche für Woche – oder gar Tag für Tag – Glossen aus der Zeitung auszuschneiden und in privaten Sammelmappen vergilben zu lassen, bekommen sie die Tagespoesie in Monats- oder Jahresrationen in der gleichermaßen bewährten wie kanonisierten Form eines kollektiven Druckwerkes. Vermutlich finden Leser darin mehr Unterhaltendes, Satirisch-Bedenkliches oder auch sie betreffend Alltägliches als in einem Großteil der heutigen Unterhaltungsliteratur, die – weil sie so offenkundig auf den Markt hin geschrieben ist – oft genau an diesem vorbeigeht. Damit ist natürlich schon so etwas wie ein Konkurrenzverhältnis zum angestammten, genuinen Bereich der Literatur gegeben. Was freilich kein neues Phänomen ist. »Der künftige Dichter und Philosoph wird über das Laufbrett der Journalistik kommen! Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, daß unsere Journalisten immer besser und unsere Dichter immer schlechter werden?« heißt es gewagt prophetisch in Musils »Mann ohne Eigenschaften« (geäußert von Paul Arnheim, Ulrichs intellektuellem Konterpart), also bereits 1930, dem Erscheinungsjahr des Mammutwerkes. Derart generalisiert wird man es wohl nicht konstatieren können, was einem seit diesen Tagen aufgefallen ist (eher schon vielleicht, daß beide gleichermaßen schlechter geworden sind), aber zweifellos besteht ein gewisses Verdrängungsverhältnis zwischen diesen beiden Agenten des Wortes, auch wenn man wiederum nicht so weit gehen muß wie Peter Turrini, der – ausgerechnet im »Standard« – von einer »natürlichen Feindschaft« zwischen Dichtern und Journalisten sprach. Demnach sei der journalistische Blick auf die Welt »ein völlig anderer als der dichterische. Der journalistische ist in der Regel hastig und oberflächlich, folglich wird das, was herauskommt, immer kürzer und nichtssagender.« Auch wenn diese Einschätzung – gerade in Österreich – zweifellos auf viele journalistische Produkte zutrifft, ist sie doch in ihrem ihrerseits verkürzten und oberflächlichen Blick letztlich jenes Klischee, das sie zu entlarven trachtet. Denn gerade die Kritik am journalistischen Blick und vor allem daran, wo er wie hinschaut, kommt vorzugsweise aus dem Journalismus selbst. Günter Traxlers »Blattsalat« ist ein Paradebeispiel jener institutionalisierten Kritik, die pointiert die Verfehlungen des in Österreich konzernbedingt geradezu auf Verfehlungen hin angelegten Pressewesens mittels simpler Zitierung kenntlich macht. Oder Thomas Maurers »Medien-Manege«, die auf fast ökologische Weise mit ihrer satirischen Schärfe und Persiflage einen Ausgleich zu den Unsäglichkeiten der Kleinformate und Buntblätter schafft. Mir will scheinen, daß gerade dieser Medienkritik in Buchform eine gesichertere Position und Plausibilität zufällt, als wenn sie aus Blättern herauskommt, die zu den kritisierten im (meist ungleichen) Wettbewerb stehen, was die Kritik ein wenig kalkuliert erscheinen läßt und somit indirekt abschwächt. In strenger kulturkritischer Lesart könnte man natürlich bekritteln, daß diese Form der Häppchen-Literatur, wie sie die Glossenbände offerieren, allzu eilfertig dem Bedürfnis nach allgemeiner Zerstreuung entgegenkommt. Aber erstens werden nach wie vor auch Bücher, die auf Dichte(r) und Konzentration setzen, geschrieben, verlegt, gekauft und sogar f62 gelesen (etwa Robert Menasses Roman »Vertreibung aus der Hölle«, der seit Monaten auf den Bestsellerlisten steht) – und wenn zweitens Menschen drei Stunden lang, wie im Beispiel eingangs erwähnt, kurzen Texten mit Hingabe lauschen, zeigt alleine die Bereitschaft, sich dem so lange auszusetzen (und es auszusitzen), eine gegenteilige Tendenz, nämlich zu Ausdauer und Konzentration. Natürlich kommen derart ansprechende Kurztexte wie die Glossen von Daniel Glattauer, Klaus Nüchtern und erst recht jene des Profikabarettisten Thomas Maurer öffentlich besonders zur Geltung, sind aufgrund ihrer Pointiertheit und des rhetorischen Duktus für Lesungen besser geeignet als die meisten Romanausschnitte oder Erzählungen, mit denen sich Dichter vor Publikum abmühen. Deshalb changieren diese Glossen-Lesungen (die auch Herbert Hufnagl mit seinen »Kurier-Kopfstücken« seit Jahren erfolgreich absolviert) oft zwischen Cabaret und Pop-Events. Während in Deutschland mit großem Pomp und manch enervierend aufgesetzter Attitüde eine eigene »Pop-Literatur« künstlich geschaffen werden mußte, die sich dann entsprechend auf (Lese-)Tourneen in Szene setzt (wie beispielsweise Benjamin von Stuckrad-Barre), ist diese Art von Textkonzert und Showlesung in Österreich gemächlicher, fast natürlicher gewachsen – und buchstäblich hausgemacht. Manchmal werden aus Kolumnisten auch »echte« Buchautoren. Daniel Glattauer etwa hat nicht nur seine Glossen (auch jene aus den Gerichtssälen) gesammelt und verlegt, sondern auch einen Roman geschrieben (»Der Weihnachtshund«) – und der nächste ist bereits in Vorbereitung. Auch Armin Thurnher hat seine Analysen österreichischer Zustände von seiner wöchentlichen »Falter«-Glosse (»Seinesgleichen geschieht«) auf zwei geistreiche Bücher ausgeweitet. Und der Schweizer Martin Suter ist als Romanautor bei Diogenes (»Small World« und »Die dunkle Seite des Mondes«, dieser Tage erscheint »Ein perfekter Freund«) längst so erfolgreich wie als Kolumnist. Fehlt nur noch der ultimative Roman über das österreichische Post(un)wesen von Herbert Hufnagl. »Aufgeben und verlegen« wäre vielleicht ein passender Titel… *LuK* Gerald Schmickl

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